Streicheln oder schlachten?

Wir Menschen streicheln, begrapschen und tätscheln gerne alles und jeden, der uns gefällt. Auch ich gehöre zu dieser Spezies. Früher, da konnte ich kaum einem Hund widerstehen. Vor allem nicht, wenn er hilflos draussen vor einem Geschäft angebunden war.

Nicht im Traum kam es mir in den Sinn, dass ein Hund meine Zuneigung nicht mögen oder in seiner Angespanntheit sogar zubeissen könnte. Eigentlich kann ich von grossem Glück reden, dass ich in meinem Leben noch nie von einem fremden Hund gebissen worden bin.

Heute bin ich etwas weiser und betrachte das Thema etwas differenzierter. Vor allem auch dank Patricia McConnells Buch The other end of the leash / Das andere Ende der Leine. In ihrem Buch über positiv bestärkende Hundeerziehung beschreibt die Verhaltensforscherin McConnell immer wieder eindrücklich, wie es in der Kommunikation zwischen Menschen und Hunden zu Missverständnissen kommt. Aus dem einfachen Grund, dass Menschen in ihrem Verhalten immer noch Primaten, und Hunde Caniden sind.

Primaten setzen eben gerne ihre Hände ein und streicheln, tätscheln oder fassen Dinge an, um sie zu erkunden. Hunde brauchen hierfür vor allem ihre Nase. Entsprechend ist es für Hunde nicht unbedingt ein Genuss, wenn wir sie streicheln. Es gibt sogar Hunde, die mögen es überhaupt nicht, wenn sie angefasst werden. Schon gar nicht von Menschen, die sie nicht kennen oder in Situationen, in denen sie anderweitig beschäftigt sind, sich nicht wohl oder gar bedroht fühlen. Zum Beispiel, wenn sie draussen vor einem Geschäft angebunden auf ihre Halterin warten …

Aber nicht nur Hunde, auch andere Tiere mögen es nicht unbedingt, gestreichelt zu werden. Es macht ihnen Angst oder es ist ihnen unangenehm. Meine Hennen flattern manchmal kreischend davon oder picken mich in die Hand, wenn ich ihnen über das feine Federkleid streichle. Und dies obwohl sie immer meine Nähe suchen, wenn ich zum Beispiel in ihrem Gehege Brennnesseln ausreisse. 

Bei den Gänsen hingegen ist es mir noch nie in den Sinn gekommen, sie zu knuddeln. Obwohl ich ihr blütenweisses weiches Federkleid geradezu einladend wäre. Vor den Gänsen habe ich einen Heidenrespekt. Tief in den Knochen liegt immer noch die schmerzhafte Erinnerung an die Beissattacken des Ganters (Gänserich) Godi selig. 

Die Geissen wiederum sind ein anderer Fall. Chiara kommt eigentlich immer zu mir und scheint es zu geniessen, wenn ich sie zwischen den Hörnern oder vorne an der Brust streichle. Dort wo sie mit ihren genialen Kratzwerkzeugen (sprich: Hörnern) nicht hinkommt. Aber eigentlich scheint sie auch zufrieden, wenn sie neben mir steht und einfach ihren Körper an mich drücken kann. Ciotti hingegen mag es überhaupt nicht, angefasst zu werden. Sie wird dann richtig bockig. Darum lasse ich sie in Ruhe.

Wie ist es aber mit den Kühen?

Keine Ahnung, ich habe bis jetzt keine einschlägigen Erfahrungen gemacht. Neulich, beim Alpabzug ging ich eine zeitlang neben einer Kuh her, genoss das gleichmässige Gebimmel ihrer Glocke. Mich beruhigte das sehr. Aber die Kuh schien sich wenig um meine Präsenz zu kümmern, aber sich auch nicht daran zu stören.

Darum war ich etwas gespalten, als ich auf eine Umfrage der Sendung Tiere suchen ein Zuhause vor ein paar Tagen antwortete. In ihrem Beitrag stellten sie ein Projekt vor, wo Kühe auf einem Gnadenhof dafür eingesetzt werden, damit gestresste Städter*innen sie streicheln und so Stress abbauen können.

Die Frage lautete: Ist das eine Win-Win-Situation für Mensch und Tier?

https://www.facebook.com/watch/?v=580315152503798

Mein Kommentar:

Mögen Kühe denn gestreichelt werden? Ich bin gespalten. Kühe haben einen meditativen Effekt, wie Ziegen, Hühner oder Gänse auch. Aber alleine durch ihre Gegenwart. Das ewige menschliche Streichelnwollen von Tieren trägt in keiner Weise zu einer respektvollen Auseinandersetzung mit den Tieren – und sich selbst- bei.

Mein Kommentar stiess bei einer anderen Kommentatorin auf blankes Unverständnis bis Entsetzen:

Die Alternative?! Geschlachtet werden?! Meine Güte, streicheln tut nicht weh.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich auf solch krasse Reaktionen stosse, gerade in Tierschutzkreisen. Im Vorstellungsvermögen der kommentierenden Person gibt offensichtlich nur zwei Möglichkeiten für eine Kuh: Schlachten oder Streicheln.

Undenkbar ist für die andere Kommentatorin die Option, dass eine Kuh einfach auf dem Hof sein darf und genügend Freiraum erhält.

Freiraum, um zu entscheiden, ob sie zu einem fremden Menschen hingehen will oder diesem lieber aus dem Weg geht. Weil sie vielleicht Angst hat, weil diese Menschen ungewohnt riechen oder weil sie Streicheln als unangenehm empfindet.

Schlussbemerkung: Diesen Beitrag schrieb ich im Oktober 2019. Inzwischen ist oben erwähnte Antwort auf mein Kommentar gelöscht worden.


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